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Anita Pallenberg, Model und Schauspielerin aus Deutschland, die zunächst zum Groupie der Rolling Stones und später zur Lebensgefährtin von Keith Richards wurde, ist 75-jährig gestorben. Ein Nachruf.
Der Erfolg der Beat- und Rockmusik in den sechziger Jahren und die damit einhergehende Glamourisierung der Musiker brachte einen neuen Frauentypus hervor: das Groupie. Zwar gab es auch in der Glitzerwelt Hollywoods Frauen, die es darauf anlegten, mit den Stars ins Bett zu kommen. Doch was im Filmgeschäft diskret ablief, weil derartige Abenteuer Karrieren gefährden konnten, durfte in der Pop- und Rockmusik medienwirksam zelebriert werden: je wilder und verruchter, umso besser. Dem Ruf der Stars war solches nicht abträglich – im Gegenteil.
Die Rolling Stones waren die erste Band, die das unziemliche Verhalten zum Teil des Images machten: hübsche Mädchen, wilde Partys, Drogen à discrétion.
Anita Pallenberg lernt die Stones 1965 nach deren erstem Deutschlandkonzert in München kennen. Sie ist zwar ein Groupie. Aber sie ist nicht unbedingt ein One-Night-Stand-Mädchen. Sie reist der Band nach Berlin nach, wird die Geliebte von Gitarrist Brian Jones, zieht mit ihm nach London und ist viele Jahre Teil des Kosmos’ der Rolling Stones. Allerdings wechselt sie, nachdem die Beziehung mit Jones gewalttätig geworden ist, den Liebhaber. Sie wird zur festen Begleiterin und Muse von Keith Richards.
Geboren wird Anita Pallenberg – ja, wo eigentlich und wann? Sie selbst gibt ihren Jahrgang mit 1944 an. Ihr Sohn korrigiert nach ihrem Tod das Datum. Und auch den Geburtsort. Nicht in Rom sei seine Mutter auf die Welt gekommen, sondern in Hamburg: am 6. April 1942. Der Vater hat zwar in Italien zu tun. Aber erst als der Krieg zu Ende ist, ziehen auch Frau und Tochter nach Rom. Anita besucht die Schweizer Schule. Sie ist intelligent, spricht mehrere Sprachen, ist musisch begabt, hübsch.
Nach einem Abstecher in ein deutsches Internat kehrt Pallenberg mit 18 nach Rom zurück. Sie sucht die Nähe des Filmmilieus, lernt Fellini, Visconti und Pasolini kennen. Schauspielerin will sie nun sein. Doch nicht in der Cinecittà bekommt sie ihre erste Rolle, sondern bei einer Off-Broadway-Avantgardetruppe in New York. In den USA hat sie als 20-Jährige einen Modelvertrag bekommen. Sie gehört schnell zur Kunst-Bohème New Yorks, verkehrt in Andy Warhols Factory und zieht schliesslich nach Paris.
Sie fasst Fuss im Filmbusiness, dreht mit Roger Vadim «Barbarella» und ist in Filmen des jungen Volker Schlöndorff zu sehen. Doch sie ist nun in erster Linie die Stones-Muse. Für Gesprächsstoff sorgt 1970 der Film «Performance», ein psychedelisch-anarchischer Krimi- und Geschlechterspuk, in dem Mick Jagger mit Pallenberg eine derart realitätsnahe Liebesszene spielt, dass alle Welt annimmt, Pallenberg habe nach Jones und Richards auch mit Jagger etwas. Sie dementiert – noch Jahre später: «Ich war damals ein Ein-Mann-Mädchen, Keith war der Mann für mich. Ich liebte ihn. Jagger war der letzte Typ, mit dem ich das gemacht hätte.»
Tatsächlich müssen Pallenberg und Richards eine Zeit lang so etwas wie ein normales Familienleben geführt haben. Zwar konsumieren beide harte Drogen. Ebenso regelmässig machen sie aber Entziehungskuren. Sie bekommen zwischen 1969 und 1976 drei Kinder. Der Fotograf Dominique Tarlé lebt 1971 mit Richards, Pallenberg und deren erstem Sohn Marlon einige Wochen in der Villa Nellcôte an der französischen Riviera.
Die Band wird hier später das Album «Exile on Main Street» aufnehmen. Tarlé erzählte: «Die ersten zwei Wochen in Nellcôte waren einfach idyllisch. Wir lebten in dieser phantastischen Villa in den Hügeln mit Panoramablick über die Küste und einem riesigen, verwilderten Garten. Nur Keith, Anita, Marlon, die Hauswirtschafterin und ich. Noch waren all die Freunde, Musiker, Techniker und Drogendealer, die später das Haus bevölkern sollten, nicht in Sicht.»
Das Leben in der Villa ist schliesslich das nackte Chaos. Die Drogen sind nach einer Phase der Abstinenz zurück in Pallenbergs Leben. Die französische Polizei ermittelt gegen Keith und Anita. Sie flüchten zurück nach London. Auch hier wird ihnen wegen Drogenbesitzes der Prozess gemacht. 1976 stirbt das jüngste Kind im Alter von nur zehn Wochen den plötzlichen Kindstod.
Als 1979 der 17-jährige Scott Cantrell sich in Richards und Pallenbergs Haus in den USA erschiesst, ist dies der traurige Schlusspunkt der Liebesgeschichte von Anita Pallenberg und Keith Richards. Zwar wird der Tod offiziell als Suizid deklariert. Aber hartnäckig hält sich das Gerücht, Anita Pallenberg und Scott Cantrell hätten russisches Roulette gespielt.
Danach verschwindet sie aus der Öffentlichkeit. Mitte der Neunziger macht sie eine Ausbildung zur Modedesignerin. Und sie kehrt ins Filmbusiness zurück. In Stephen Frears’ Drama «Chéri» spielt sie 2009 eine alternde Kurtisane.
Das einst hübsche Mädchen ist gezeichnet vom exzessiven Leben. Eine verschleppte Hepatitis erinnert an ihre Drogenkarriere. Eine kaputte Hüfte zwingt sie, am Stock zu gehen. Als Keith Richards 2010 seine Lebenserinnerungen veröffentlicht, wird sie gefragt, ob sie nicht auch ihre Memoiren schreiben wolle. Pallenberg sagt: «Wenn schon ein junges Spice Girl, das mit einem Fussballer zusammen ist, ein Buch über sein Leben schreibt, werde ich das bestimmt nie tun.»
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Christoph Zürcher
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