Mama war ein Rolling Stone: Anita Pallenberg war mehr als ein Groupie. Sie war die Muse der Sechzigerjahre und die Mutter der Kinder von Keith Richards. Nun ist sie mit 73 Jahren gestorben.
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Zuletzt liefen Anita Pallenberg die Buchverleger und Literaturagenten nach. Die großen Männer aus den Sechzigern saßen bereits an ihren Memoiren und versuchten, sich an ihre besten Jahre zu erinnern. Selbst Keith Richards schrieb über Keith Richards. Kaum ein Manuskript, in dem Anita Pallenberg nicht vorkam. „Die Verleger wollen von mir ständig hören, wie die Rolling Stones so waren. Sie wollen mehr Schmutz über Mick Jagger. Alle wollen schmierige Details. Und dann schreibt heute auch noch jeder seine Autobiografie. Wenn schon ein junges Spice Girl, das mit einem Fußballer zusammen ist, ein Buch über ihr Leben schreibt, werde ich das bestimmt nie tun.“
Nun ist Anita Pallenberg gestorben. 1965 war sie auf die Rolling Stones gestoßen, die damals im Münchner Circus Krone ihr erstes Konzert in Deutschland gaben. Vor allem Brian Jones gefiel ihr, auch weil sich der blonde Prinz der Band bemühte, mit ihr Deutsch zu reden. Sie ging mit nach London und nahm mit Brian Jones gemeinsam LSD, das sie besser vertrug als er. Zwei Jahre später in Marokko wurde er gegen sie handgreiflich, Keith Richards, der dabei war, warf sich ritterlich dazwischen und wurde der nächste Rolling Stone an ihrer Seite. Zwischendurch hatte Anita Pallenberg auch etwas mit Mick Jagger, 1968 bei den Dreharbeiten zu „Performance“, einem Film, in dem sie beide mitspielten. Auch in Marianne Faithfull, die der Band so nahe stand wie sie, soll sie verliebt gewesen sein in London in den heiteren Sechzigern.
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All die Träume, Utopien und Irrümer
Sie war ein Groupie, aber in den Sechzigerjahren, als die Popkultur so schön und frei war wie später nie wieder, war Anita Pallenberg eben auch mehr. Sie stammte aus, wie man damals noch sagte, gutem Hause. Ihr Vater war der deutschstämmige Reisekaufmann Arnold Pallenberg, der sich in Rom Arnaldo nannte, und mit einer deutschen Diplomatin die Familie gründete. Im Krieg verschwand er. Als er wiederkehrte, schickte er Anita in der alten Heimat in die Schule. Ihre Ferien verbrachte sie in Rom, wo sie mit 16 lieber bei Fellini abhing, der gerade „La dolce vita“ drehte, als nach Deutschland heimzukehren. Nachdem ihre deutsche Schule sie hinausgeworfen hatte, zog sie nach New York in Andy Warhols Factory, zum Studium und zum Modeln nach Paris und mit einer Theatergruppe um die Welt. Die Modelagentur schickte Anita Pallenberg nach München, wo sie auf die Rolling Stones traf. Für die Stones war sie ein Groupie und, weil sie eigentlich viel zu schön, gescheit und kultiviert war für die dürren Rüpel mit den abstehenden Ohren aus der Londoner Vorstadt, eine Göttin. Sie wurde zu ihrer Muse, zum Mädchen für alles und zur mütterlichen Freundin.
Es gibt Fotos, auf denen die Rolling Stones zu sehen sind, wie sie „Exile on Main St.“ in Südfrankreich aufnehmen aber noch ausgiebiger in der Sonne sitzen und die Sechzigerjahre in die Siebziger hinein verlängern. Magere Rockstars mit himmlischen Frauen und den ersten Kindern. Marlon Leon Sundeep, der Sohn von Keith Richards und Anita Pallenberg, sitzt nackt an einem Tisch mit Weinflaschen und Gras. Dandelion Angela, die Tochter, kommt dann mit „Exile on Main St.“ auf die Welt. Die Träume, Utopien, Irrtümer der Sechziger lösen sich in den Siebzigerjahren auf, Keith Richards und Anita Pallenberg werden verhaftet wegen Heroinkonsums. Ein 17-jähriger Gärtner liegt an einem Morgen im Jahr 1979 nackt und tot im Bett neben Anita Pallenberg, er hat sich mit Keith Richards’ Waffe selbst erschossen. 1980 trennt Anita Pallenberg sich von Keith Richards und beschließt, auf Drogen zu verzichten.
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Gibt es überhaupt noch Groupies?
Andere haben berichtet, was sie für die Rolling Stones gewesen war. Wie sie Mick Jagger riet, das Album „Beggars Banquet“ besser abmischen zu lassen, wie sie mehrere Stimmen in „Sympathy for the Devil“ sang und wie sie, als die Sechziger die ersten Schatten warfen, für die Schwarzen Künste schwärmte, was auch die Musik der Rolling Stones auf interessante Art verdüsterte. Ein früher Assistent der Band, Jo Bergman, sagte mal: „Anita ist ein Rolling Stone. Sie, Brian, Keith und Mick waren die Rolling Stones.“ 2001 erschien sie neben Marianne Faithfull in der wunderbaren Fernsehserie „Absolutely Fabulous“, Marianne Faithfull in der Rolle Gottes und Anita Pallenberg als Teufel. So wollten sie alle sehen, als Verführerin.
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In allen Filmen, in denen sie auftrat, ob in Roger Vadims „Barbarella“, in Marco Ferreris „Dillinger is Dead“ oder in Volker Schlöndorffs „Michael Kohlhaas“, ließ sie offen, wer sie war, als Frau und als Figur. Keith Richards hat in seinen Memoiren auch nicht mehr verraten, als sie selbst verraten hätte. Gibt es eigentlich noch Groupies? Gibt es überhaupt noch Musen? Es gibt Fußballspielerfrauen, Frauen, die ihre Geheimnisse auf Facebook teilen, Frauen, die wie aufgeschlagene Bücher sind. Was früher Pop hieß, ist heute profan. Anita Pallenberg wurde 73 Jahre alt.