»Keine Liebe« – ein Song und seine Geschichte (2024)

  • Wo ist der Song eigentlich das erste Mal erschienen?

  • Ich habe so eine Art Demo-CD für Freunde gemacht und davon exakt zwölf Stück verteilt. Wie der Name schon suggeriert, sollte das eigentlich nie rauskommen. (lacht) Einer von meinen Kumpels war zu der Zeit beim Bund und jemand hat die Kopie aus seinem Spind geklaut. So ist der Song dann im Internet gelandet.

  • Wie ist der Song damals entstanden?

  • Ich war ja auf einer krassen Eliteschule und mochte die Leute in meinem Semester gar nicht – die mich auch nicht. Ich war krass unzufrieden mit dieser Schulzeit. Das waren sehr oberflächliche, verwöhnte, reiche Kids oder Nerds. Da habe ich mich mit niemandem gut verstanden. Dann habe ich diesen Song geschrieben.

  • Ich dachte immer, du bist auch aus gutem Haus?

  • Nö. Meine Eltern waren eher das, was man unterer Mittelstand nennt. Wir hatten ein altes Auto und sind ein mal im Jahr innerhalb von Deutschland verreist. Meine Eltern konnten sich es nicht leisten, mich mal für ein Jahr ins Ausland zu schicken. Alles, was sie hatten, haben sie in Bildung investiert. Deshalb war ich eben auch auf dieser krassen Schule. Aber die Leute dort sind in der Regel aus supergutem Hause oder komplette Freaks. Manche sind im letzten Semester noch mit Scout-Ranzen zur Schule gekommen und solche Geschichten. Wir hatten auch so krasse Musikgenies, die Geige oder Trompete spielen konnten. Aber es gab keine Leute auf meiner Wellenlänge, die sich für HipHop oder Sneaker – also alles, was meinen Lifestyle ausgemacht und worüber man sich in dem Alter auch noch krass definiert hat – interessiert haben.

  • »Ich hatte diese ganzen aufgestauten Emotionen in mir und das erste mal gelernt, wie man Musik macht.«Auf Twitter teilen
  • Und in »Keine Liebe« hat sich diese Aversion gegen deine Mitschüler dann gebündelt, ja?

  • Es war halt der Sommer nach dem Abi und die meisten sind auf so eine Abifahrt gefahren – ich natürlich nicht, weil ich keinen Bock hatte. Aber es war der allerschönste Sommer seit langem. Ich hatte diese ganzen aufgestauten Emotionen in mir und das erste mal gelernt, wie man Musik macht. Dann habe ich im nassen und muffigen Keller meiner Eltern ein schrottiges Mikro aufgebaut und mit Cool Edit Pro diesen Song aufgenommen. Also mit minimalem Equipment und minimalen Skills. (lacht) Im Original ist übrigens jede zweite Zeile gedroppt. Wenn man ein guter Rapper ist, versucht man ja möglichst selten neu einzusteigen. Ich habe das da aber nach jeder zweiten Zeile mit sehr viel Elan gemacht. (lacht)

  • Woher solltest du es auch wissen?

  • Wenn ich den Song heute live spiele, dann kann ich ihn fast durchrappen. Normalerweise lässt man dann ja hier und da mal eine Atempause. Aber der ist eigentlich nicht dafür geschrieben.

  • Lass uns mal über den doch schon sehr trotzigen Titel »Keine Liebe« sprechen.

  • Das war das, was ich ich gespürt habe. Ich mochte die Leute nicht, die mich nicht. Die Leute in meiner Nachbarschaft waren auch reicher als ich. Und gerade in dem Alter bekommt man das natürlich krass zu spüren, wenn du nicht die allerneusten Polohemden hattest. In Zehlendorf hat halt gefühlt jeder Abiturient ein Auto von seinen Eltern geschenkt bekommen. Da habe ich mich extrem als Außenseiter gefühlt. Und die Jungs, mit denen ich HipHop gemacht haben, trugen Kappen und Baggys. Das habe ich aber noch nie gemacht. Ich hatte eine schrottige North Face-Jacke und ich kam eher aus diesem Sprayer-Ding als aus der HipHop-Rap-DJ-Szene. Das waren unterschiedliche Kleidungsstile. Die Sprayer hatten halt 501 an und man hatte Adidas Forum oder Air Max an – Schuhe mit denen man schnell wegrennen konnte. Nicht so coole Poserklamotten wie bei den DJs und Rappern. Zwei Drittel der Sprüher waren auch Türken oder Araber. Und dementsprechend war ich auch da der Outsider. Bei den Sprühern war ich der kleine Deutsche mit Brille, bei den Rappern war ich der Typ, der aussah wie ein Sprüher. Das hat alles zusammengenspielt und hat sich in diesem Song ausgedrückt, der sehr viel Wut und Frustration, aber auch Halbwissen bündelt.

  • Genau auf diese konspirativen Zeilen wollte ich gerade zu sprechen kommen…

  • »Adolf Hitler seine Ufos und so«, ja? In Berlin gibt es ja den Teufelsberg, auf dem sich eine alte CIA-Abhörstation befand. Damals hingen wir da eine Zeitlang immer ab und haben uns Theorien gesponnen. Es gab da zwar schon das Internet, aber es war nicht so weit verbreitet wie heute. Man konnte keine Verschwörungstheorien googlen. Sowas musste man schon in Büchern lesen. Sei es Umberto Ecos »Das foucaultische Pendel« oder »Im Namen der Rose«. Und ein Kumpel von mir hatte diese Neu-Schwabenland-Theorie, die besagt, dass die Nazis UFO-Technologie hatten und die USA das nachgebaut haben und dann Kampfjets besaßen, die wie Ufos aussahen. Und die Amerikaner haben natürlich auch die gesamte Flugzeug-Raketentechnologie nach dem Krieg von den Nazi-Ingenieuren gemopst. Es hätte also sein können, dass da auch ein paar absurdere Techniken bei waren. Und darum ging es dann also in meiner versponnen Welt. Ich habe den Sommer echt die meiste Zeit drinnen abgehangen, Dokus über Pablo Escobar geguckt und das hat alles in diesem krassen Halbwissen gemündet.

  • Und um Drogen in der Nahrung geht es auch.

  • Naja, es geht um die Idee, dass man in einem Alter ist, in dem man aus der verhassten Welt der Schule und des Elternhauses hinaustritt in die Welt des Erwachsenseins. Und da stürzt soviel Kompliziertes auf einen ein, dass man das versucht, durch simple Erklärungen zu vereinfachen. Verschwörungstheorien sind halt immer simple Erklärungen für total komplizierte Sachen. Das ist der Mechanismus, bei dem ich mich da bedient habe. So platt sich das jetzt auch anhört: Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das, was man als Wahrheit angeboten bekomme, nicht unbedingt so stimmt. Nicht, weil alle Politiker potentielle Lügner sind. Aber wenn ich an der Regierung wäre, hätte ich es vermutlich genau so schwer, es den Leuten zu sagen, wie es ist. Es ist ja schon schwierig, seiner Freundin etwas zu erklären. (lacht)

  • Der Refrain ist ja eine Hommage an The Grouch.

  • The Grouch ist damals schon mein allergrößtes Vorbild gewesen. Auch, weil er in seinem Umfeld ein totaler Außenseiter war. Ich wollte immer rappen wie er.

  • »Savas war eh der erste, der einen eigenen Style entwickelt hat. Er war der erste, dessen Songs ein richtiges Schema hatten.«Auf Twitter teilen
  • Und du bedienst dich sehr stark an der, sagen wir mal, Westberliner Rap-Sprache.

  • Das kam natürlich krass von Savas. Es war nicht so, das ich nur Savas hatte, sondern ich habe auch die Quellen gehört, von denen er das hatte. Savas war zum Beispiel krasser E-40-Fan und hatte generell ein Faible für Leute, die ihre eigene Sprache hatten. Das hat er dann halt adaptiert. Ich glaube, er war eh der erste, der einen eigenen Style entwickelt hat. Er war der erste, dessen Songs ein richtiges Schema hatten. »Meine Crew« oder »Deine Crew« waren so die Hauptkomponenten und dann konnte er in diesem Baukasten immer coole Sachen machen. Später wurde es dann anders. Am Anfang hat er richtig krasse Sachen gesagt, die auch politisch nicht korrekt waren. »Ich bin ein Nazi, Hitler ist mein Vater.« Aber das war witzig und das hat keiner falsch verstanden. Aber als Aggro Berlin hoch kam, hat er dann angefangen, nur noch darüber zu reden, dass er der Coolste ist. Und als Aggro Berlin dann noch erfolgreicher wurde, hat er dann wieder angefangen co*ck im Lexus zu geben.

  • »Keine Liebe« ist ja schon dein bekanntester Song. Wenn du den live spielst und diese Akkorde erklingen…

  • …dann stehen zwei Drittel vor der Bühne und kennen ihn nicht. (lacht)

  • Aber das eine Drittel kann ihn inbrünstig mitrappen….

  • ….und sagt dann danach »Früher als dein Mikrofon noch beschissen war und du keinen Soundmann hattest war es geiler!« (lacht) Diese Geisteshaltung aus diesem Lied steckt ja immer noch in jedem Song.

  • »Ich fühle mich immer noch als Randfigur der Gesellschaft.«Auf Twitter teilen
  • Eigentlich handelt »Kompass ohne Norden« ja von genau den gleichen Dingen.

  • Genau. Ich fühle mich immer noch als Randfigur der Gesellschaft. Auch wenn ich ein etablierter Musiker bin, der seine Miete davon zahlen kann. Ich habe auch Spaß dabei. Es ist für mich ein großes Privileg, dass ich nicht in einer Fabrik stehen muss. Ich kann mich ausdrücken und es macht mir Spaß. Aber ich bin ja auch nicht der typische HipHopper. Mittlerweile gefalle ich mir auch in dieser Rolle. Das gibt mir die Möglichkeit, über die Gesellschaft zu schreiben, wie man das halt nur kann, wenn man diesen Abstand hat. Damals habe ich noch krasser damit gehadert.

  • »Keine Liebe« – ein Song und seine Geschichte (2024)

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