"Jubilee": Plötzlich Gitarrengöttin (2024)

Traurige Euphorie, zukunftsträchtige Nostalgie und am Ende ein Endlossolo: Michelle Zauner belebt mit ihrer Band Japanese Breakfast den etwas zittrigen Greis Indie-Rock.

Eine Rezension von Daniel Gerhardt

"Jubilee": Plötzlich Gitarrengöttin (1)

Wenn Michelle Zauner Spaß haben will, schreibt sie einen Song über die Einschläferung ihres Hundes und nennt ihn In Hell. Seit knapp zehn Jahren veröffentlicht die Wahl-New-Yorkerin Lieder unter dem Namen Japanese Breakfast sowie als Autorin Texte etwa für den New Yorker unter ihrem Geburtsnamen, die unter anderem davon handeln, welche unsichtbaren und ungreifbaren Dinge verloren gehen, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Vor allem der Tod ihrer Mutter im Jahr 2014 hat das Schaffen der Künstlerin geprägt: Im April gelangte Zauner mit dem Memoir Crying in H Mart auf die Bestsellerliste der New York Times. In dem Buch arbeitet Zauner die koreanische Seite ihrer von Scheidungen und Erkrankungen gezeichneten Familiengeschichte auf. Es war auch als Schlussstrich gemeint.

Nur wenige Wochen später folgt auf diesen nun das dritte Album von Japanese Breakfast. Jubilee soll das erste vergnügte Projekt von Zauner sein, die Künstlerin hat es als Ode an Lebensfreude und Rockmusik angekündigt. Aber die Platte enthält eben auch den Song mit dem Hund. Zur treu vorantrottenden E-Gitarre singt Zauner über sterile Tierkliniken und letzte Anweisungen für die behandelnde Ärztin. An den Details aus In Hell erkennt man die Schriftstellerin, am Fazit der Geschichte das dicke Fell, das sich ihre Erzählerin inzwischen angeeignet hat. "There's nothing left to fear", singt Zauner, und dann noch: "At least there's that." Mit Bläsern und süßer Synthiemelodie hebt der Song schließlich ab.

So war das also gemeint mit dem Spaß und der Lebensfreude. Alles eine Frage der Perspektive und vorheriger Erfahrungen. Schon in ihren früheren Songs und in Zauners Autobiografie war Trauer ein komplexes Gefühl, das scheinbar unvermittelt in Euphorie umschlagen konnte. Auf Jubilee ist es nun ihre Nostalgie, die zukunftsträchtig erscheint. Mehr denn je sind Japanese Breakfast mit diesem Album eine Band, zu der neben Zauner auch ihr Ehemann Peter Bradley als Gitarrist, der Schlagzeuger Craig Hendrix sowie diverse Gastmusiker und Co-Songwriter gehören. Gemeinsamer Bezugspunkt der Künstler ist der Indie-Rock ihrer Teenagerjahre.

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Zauner ist 1989 als Tochter einer koreanischen Mutter und eines US-amerikanischen Vaters in Seoul geboren. Bald danach siedelte die Familie nach Eugene im US-Bundesstaat Oregon um. Die Kultur ihres mütterlichen Familienzweigs lernte Zauner vor allem in der Küche kennen: Crying in H Mart verweist mit seinem Titel auf eine Supermarktkette für koreanische Lebensmittel und handelt von den Gerichten, Geschmäckern und Rezepten, die Zauners Mutter an ihre Tochter weitergab. Das Buch erzählt eine Geschichte über Herkunft, Identitätsfindung und -bewahrung. Ausgangspunkt ist dabei immer wieder der Esstisch der Familie.

Eine Geschichte über Herkunft steckt auch in den Liedern von Jubilee. Anfang der Nullerjahre und damit pünktlich zur Pubertät von Zauner erlebte die Gitarrenmusik des Pacific Northwest ihre bisher letzte Hochphase. Bands und Künstlerinnen wie The Shins, Death Cab For Cutie oder Neko Case veröffentlichten prägende Alben. Der damals feierlich-melodieverliebte Sound der Region, die in den späten Achtzigerjahren bereits Grunge und die Riot-Grrrl-Bewegung hervorgebracht hatte, nahm außerdem Einfluss auf kommende Großverdiener wie Arcade Fire. Jubilee wird vor diesem Hintergrund zum Zeitreisenprojekt. Schon an den schiefen Trompetenfanfaren des ersten Songs erkennt man den Zielort.

Das Stück namens Paprika stellt die geradlinigste Verbindung zur Musik der Jugend der Mitglieder von Japanese Breakfast her. Während eine Marching Band aufspielt, die es eigentlich nur auf Zauners Computer gibt, spürt die Band jenen Momenten der besonderen Verbindung zwischen Performern und Publikum nach, die es eigentlich nur auf Konzerten gibt. Zauner kennt das beschriebene Gefühl aus beiden Blickwinkeln: "It's a rush", verkündet sie an der Stelle des Songs, wo eigentlich ein weltumspannender Refrain hingehört. Zugleich gibt Paprika eine Formel für Jubilee vor, an der Japanese Breakfast im weiteren Verlauf des Albums herumdoktern können.

Statt einfach nur Erinnerungen aufzubereiten, wendet die Band ein modernes Popverständnis auf ihre Songs an, das vor 20 Jahren noch als Regelbruch unter Indie-Musikern gegolten hätte. Mit Saxofon, Klavier, Drumcomputer und anderen elektronischen Elementen demonstrieren Japanese Breakfast die gleiche Detailverliebtheit, die auch aus Zauners Texten spricht. Einmal belegt die Sängerin ihre Stimme mit Heliumeffekten, ein anderes Mal erhält ihre Gitarre eine ulkige Plastikverkleidung. Be Sweet heißt der Song zu dieser Verkleidung: Ob er Madonna in den Achtzigern im Sinn hat oder doch britische Kultpopstars wie Paddy McAloon von Prefab Sprout, die zeitgleich ihre Karrieren begannen, lässt sich nicht abschließend entschlüsseln.

Vor allem solche Momente sind es, in denen Jubilee nach jenem Spaßprojekt klingt, das sich Zauner selbst verordnet hatte. In ihren früheren Liedern und Texten war es oft der oben erwähnte Schicksalsschlag, der identitätsstiftend wirkte: Die Künstlerin schrieb sie nicht zuletzt, um sich gegen Verlust, Entwurzelung und Vergessen zu verteidigen. Nun erscheint ihre Herangehensweise spielerischer, als ginge es gerade nicht darum, die eigene Geschichte festzuhalten, sondern sie umzuschreiben. Zum Beispiel mit unzuverlässigen Jugenderinnerungen. Als Teil einer erfundenen Marching Band. Oder im Stil einer Gitarrengöttin, die Jubilee mit funkensprühendem Endlossolo zu Ende bringt.

"Jubilee" von Japanese Breakfast ist bei Dead Oceans/Cargo erschienen.

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